Wir haben die Wahl: Kinder, Karriere, beides, Mann, neuer Mann, Frau, neue Frau, Beruf, neuer Beruf. Man sollte meinen, dass uns all die Möglichkeiten glücklicher machen. Das Gegenteil ist der Fall. Und, oh, Wunder, das betrifft ganz besonders uns Frauen. Nachweislich machen uns Möglichkeiten unglücklicher als Männer! Denn das Thema Kind ja, nein, wann und wie viele verfolgt uns mit erbitterter Härte und biologischer Unnachgiebigkeit. Welche der vielen Karriere-Optionen ist meine? Verpasse ich etwas, wenn ich auf ein Kind verzichte? Verpasse ich etwas, wenn ich auf Karriere setze? Geht mir eine Chance durch die Lappen, wenn ich diesen Job mache und nicht jeden? Hätte, wäre, könnte. Da Männer bei der Jobwahl immer noch weit mehr an Existenzsicherung denken, trifft es uns Frauen mit voller Wucht. Und da wir bei der Jobsuche nicht nur an Existenzsicherung denken, haben wir heute nicht nur die Möglichkeit, einen gut bezahlten Job zu machen, sondern erweitern unsere Perspektive gleich um eine weitere: Die Suche nach einem sinnerfüllten Job – und nicht nach irgendeinem.
Die weibliche, aber teils auch männliche Zerrissenheit zwischen den vielen Möglichkeiten, die sich in einem nachlassenden Glücksgefühl spiegelt, bringt einer meiner Lieblingsautoren, Bas Kast, in seinem Buch “Ich weiß nicht, was ich wollen soll” sehr schön mit Studienergebnissen belegt auf den Punkt. Das durchschnittliche Glücksgefühl, so schreibt er, gehe stetig zurück. Besonders betroffen seien so genannte “Maximierer”, das sind Menschen, die immer denken, sie könnten noch mehr und besseres erreichen. Im Buch gibt es dazu einen Test. Ich habe den leisen Verdacht, das Extrem-Maximierung mit einem hohen Wert bei Ziel- und Zweckorientierung im Reiss-Profil korrelieren könnte.
Je mehr Optionen wir haben oder besser noch: denken zu haben, desto weniger zufrieden sind wir. Wissenschaftliche Beweise, legt Bas Kast nahe, gibt es für diese These viele. Gut, besser, noch besser? Haben wir erst den Traumjob, ist der auch nicht gut genug.
Junge Frauen sehen ihre Möglichkeiten täglich im Fernsehen, im Internet, außerdem wird vermutlich mehr über Optionen geredet als früher. Mir wurden die vielen Möglichkeiten erst im fortgeschrittenen Alter bewusst, was es nicht besser macht. Turnusmäßig nerve ich mein Umfeld mit der fixen Idee, ich müsse nun endlich promovieren, auf die Galapagos-Inseln umziehen, mich für soziale Belange engagieren, ein Haus am See zur Beherbergung junger Autoren kaufen oder den Roman schreiben, der mir seit Jahren in Fragmenten im Kopf rumspukt. Hinzu kommt die ewige Frage, ob ich nicht besser noch mal studieren sollte: Jura, Physik, Informatik oder Kriminologie oder… Ja, Sie sehen, es ist keineswegs so, dass eine erfolgreiche Existenz als Karrierecoach alle anderen Optionen so überstrahlt, dass sie unsichtbar werden. Glücklicherweise habe ich ihm Maximierertest nur einen mittleren Wert; relativ genügsam also.
Meine zahlreichen Optionen stehen sich zeitweise ziemlich im Weg. Spirituell angehauchte Coachs würden versuchen, mit mir meinen echten und wahren Lebenstraum auszuarbeiten oder mir einreden, ich müsse ALLES realisieren. Für mich ist das ein Mythos, der geht wie alle: ein Mensch sucht nach der Wahrheit, geht durch die Hölle der Erkenntnis und kommt mit dieser weiß gewandet und grundlegend geläutert zurück nach Haus. Das passiert, zugegeben. Aber: Es passiert so gut wie nie OHNE zuvorige Hölle; ein Coaching reicht bei weitem nicht. Es passiert auf gar keinen Fall im Alltag, wenn es dir und mir gut geht und alles im Grunde ganz okay ist (wären da nicht die ganzen Optionen).
Barbara Sher hat Karrieregeschichte geschrieben und in den 1970er Jahren die ersten Bücher zur Berufsorientierung geschrieben, 1992 erschien die englische Ausgabe von „Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich wollte“, bis heute über 700.000 Mal verkauft. Sher ist sowas wie die Erfinderin der Traumjobsuche. Und es ist kein Wunder, dass diese Suche erst vor 20 Jahren so richtig Fahrt aufnahm – als die Möglichkeiten zunahmen, vor allem für uns Frauen. Traumjobsuche ist ein typisches Kennzeichen von Gesellschaften, die satt sind, weil die Menschen in ihnen zu viele Optionen haben. Ergo findet man sie derzeit kaum in Griechenland und ein spanischer Freund hat mir neulich bestätigt, dass in seinem Land kaum jemand auf die Idee kommt, nach Traumjobs zu suchen. Als ich ihm von unseren deutschen Zuständen erzählte, hat er ziemlich oft „really?“ gefragt. Vielleicht ist das ein Grund, dass die Spanier trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten unterm Strich glücklicher sind. Wenn die Option des Traumjobs wegfällt, ist es das schon mal eine Möglichkeit weniger und damit irgendwie auch weniger Ballast.
Ich finde, die meisten Menschen überschätzen die Realität, was möglicherweise ein Grund ist, so etwas wie den Traumjob nicht zu realisieren. Man sollte Jobs machen, die zeitweise Freude machen und einen bereichern. Es ist illusorisch anzunehmen, dies könne ein Leben lang vorhalten. Mit Traumjobs sei es wie mit Traummännern habe ich im Karrieremacherbuch geschrieben: Der Zauber ist nach einer gewissen Zeit vorbei. Wenn man sich immer neu verlieben will, führt das zur Job-Promiskuität. Außerdem kann so eine Suche ganz schön anstrengen – und am Ende zu weniger führen als gar keine Suche. Wie passend, dass mir gerade Felicitas Pommerening ihren Roman „weiblich, jung, flexibel“ (Herder-Verlag) geschickt hat, der das Gefühl einer Generation aus meiner Sicht viel besser wiedergibt als eine durchgeknallte Charlotte Roche. Es geht in Pommerenings Buch genau um dieses Thema: Zu viele Optionen. Pommerening ist Durchschnitt, jemanden mit Gedanken wie ihren sehen wir in unserer Beratung öfter, Roche ist eine extreme Randerscheinung. Seltsam genug, dass Medien es bevorzugen, Randerscheinungen zu Trends auszurufen.
Die Frauen in Pommerenings Buch suchen und finden nicht, auch Pommereng selbst hat jährlich den Job und den Wohnort gewechselt, bis sie selbst keine Lust mehr hatte… So etwas kann nur in einer Traumjobkultur passieren.
Oft werde ich im Coaching gebeten, Sparringspartner beim Sortieren von Optionen zu sein. A oder B oder doch C? Man weiß aus der Hirnforschung, dass eine gute Entscheidung eine fundierte Entscheidung ist und die beste Intuition jene ist, die auf Erfahrung beruht. Ich helfe gern, Entscheidungen auf solide Fundamente zu stellen. Das genaue Betrachten von Optionen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine zu treffen, hinter der man stehen kann. Oft kehrt man so zum ersten Impuls zurück, manchmal merkt man aber auch, dass der erste Impuls ein Zuschreibungsfehler war oder auf Basis einer falschen Information erfolgte.
Es gibt Genuss-Träume und Verderber-Träume. Ich bin ein Fan von Genuss-Träumen und finde es sehr gesund, rumzuspinnen. Ich bin aber gegen die Verderber-Träume, die einem vorgaukeln, mit einem anderen Job hätte man ein schöneres Leben gehabt. Die Verderber-Träume gilt es auszuschalten. Dies gelingt bei genauerer Betrachtung des „so ist es und es ist gut so“. Das nimmt ein paar der Optionen einfach wieder weg und erhöht damit das persönliche Glücksgefühl. Ein Kunde, Führungskraft, träumte davon, in einem Theater zu arbeiten. Er rief an und bekam auch prompt ein Angebot – für sieben Euro die Stunde. Aus der Traum, und das bei gutem Gefühl!
Ich muss dann keinen Träumen nachhängen, wenn ich bewusste Entscheidungen getroffen habe. Ich habe mir neulich nach nüchterner Pro-Contra-Betrachtung gesagt, dass ich den Blödsinn mit der Promotion erst mal zu den Akten legen sollte, denn eigentlich könnte ich genauso gut ein neues Buch schreiben.